Der Akkreditierungsmurks

Um des gleich zu Beginn klarzustellen: Ich bin Fan der Akkreditierung. Man darf Laien einfach nicht frei überlassen, wie und was jungen Menschen für ihr Leben vermittelt wird. Und Professoren sind erst einmal Fachleute.

Wer auch immer die Idee hatte Fachleute wären automatisch auch gute Lehrende und wüssten wie man Kompetenzen prüft, täuscht sich. Meine Erfahrung aus Studium, als Dozent und Professur sind: Das können oder wollen die wenigsten.

Die Idee der Akkreditierung

Mit dem ⧉ Staatsvertrag über die Organisation eines gemeinsamen Akkreditierungssystems zur Qualitätssicherung in Studium und Lehre an deutschen Hochschulen ist die Grundlage gelegt. Der ↪ deutsche Qualitätrahmen beschreibt, welche Kompetenzen mit einer Qualifikation auf einem bestimmten Niveau verbunden sind.

So entsteht ein Zielsystem, bei dem die Kompetenzen für einen Beruf der Ausgangspunkt sind. Diese Zielkompetenzen werden in Teil- oder Zwischenziele dargestellt, die dann im △ Modulhandbuch veröffentlicht werden.

Damit die Kompetenzen auch erreicht werden, müssen sie geprüft werden. Die Prüfungen müssen natürlich zum Kompetenzzielen passen. Damit der Student die Kompetenzen bekommt, muss die Lehre auch dazu passen. Dieses von John Biggs entwickelte pädagogische Konzept wird mit ↪ Constructive Alignment bezeichnet.

Das verbreiteste Prüfungsform an Uni oder HS ist die △ Klausur. Andere Prüfungsformen sind möglich, werden aber viel seltener genutzt. Es ist ein Geheimnis, wie man z.B. Teamfähigkeit in Klausuren prüft.

Die konventionellste und verbreitetste Art der Lehre ist die Vorlesung in Kombination mit Übungen gerne auch mit zusätzlichen Tutorien. In technischen oder naturwissenschaftlichen Studiengängen gibt es oft Labore.

Andere Lehr- und Lernformen wie z.B. Seminare, Problem und Project Based Learning, forschendes Lernen, Flipped Classroom, Peer Education, usw., sind in technischen Disziplinen eher selten anzutreffen.

Wie die gute Idee Schaden nimmt

Aber so, wie es heute in der Praxis umgesetzt wird, ist es einfach nur Murks. Dazu ein paar Impressionen aus diversen Akkreditierungen, eigenen an meiner Hochschule und Akkreditierungen, wo ich als Gutachter war.
  • Die formale Form wird immer ganz genau überwacht: Sind esauch nicht zu viele △ Prüfungen, und haben möglichst alle die gleichen ECTS und SWS, damit auch kein Kollege beleidigt ist, dass sein Lieblingsmodul weniger wert sein könnte. Ist der Englischanteil im Curriculum genau so, wie als Vorgabe definiert. uvm.
  • Ein super Bericht der Hochschule, was alles gemacht wird, mus vorgelegt werden. Der ganze Blumenstrauß an Lehr- und Lernformen wird ausgebreitet. Fragt man die Studenten wie oft Sie mündliche Prüfungen hatten oder wieviele Hausarbeiten vor der Bachelorarbeit lagen, so kommt wenig bis nichts.
  • Wenn ich dann den Aufwand betreibe und versuche herauszufinden, was wirklich in der Lehre passiert, dann werde ich häufig positiv überrascht, das vieles getan wird. Aber die Kollegen sehen sich oft nicht in der Position, das im △ Modulhandbuch festzuschreiben. 
  • Schließlich wechseln ja mal die Professoren. Und der Neue kann in der Lehre nicht machen was er will, sondern sollte sich an die Modulbeschreibung halten. Dass bekanntermaßen die Noten bei solchen Wechseln oft krass schwanken, wird eben hingenommen. 
  • Ein Rätsel, wie so die Einheit von Kompetenz & Lehr-/Lernform & Prüfungsform erreicht wird, wenn jeder Professor so lehrt, wie er sich das eben denkt. Da ist es meist wichtiger, dass alle Professoren reihum Grundlagenveranstaltungen halten, besonders bei großen.
  • Wenn ich dann Modulbeschreibungen durcharbeite, sind die wenigsten kompetenzorientiert. Warum die KMK den ⧉ Qualifikationsrahmen für deutsche Hochschulabschlüsse erstellt hat, wenn jeder doch sein eigenes Ding macht, ist mir schleierhaft. 
  • Auch hier finde ich, meist auf Nachfrage in Erfahrung gebracht, dass die Kollegen und Kolleginnen sich zu Curriculum und Lehre viele Gedanken  gemacht haben. Leider ist das oft nur im Rahmen irgendwelcher geförderten Projekte oder das machen Kooperationspartner aus der Pädagogik/Didaktik, je nachdem. Die wenigsten machen sich das in der Lehre zu Eigen.
  • Und die Chancen bei der Reakkreditierung etwas Neues zu machen, scheitert häufig daran, dass Kollegen "ihre" Module - seit wann gehören Module Dozenten - auch alle im neuen Curriculum wiederfinden müssen. Die eigenen Module sind immer unverzichtbar für die Ausbildung.
  • Und Last but not Least: Als Logistiker tut es mir in der Seele weh, wenn ich an den immensen Aufwand der Akkreditiererei denke, wo leider zu oft nur wenig für die Studierenden rauskommt.
Wer nun dem Gesagten widerspricht und sagt, dass an seiner Hochschule einfach alles richtig gemacht wird, kann das gerne so sehen oder im Blog mitteilen. Meine Erfahrungen sind eben anders.

Resümee

Du kannst natürlich fragen, warum ich mir das noch antue, wenn es doch so ein elendiger K(r)ampf ist. Nun zum einen bei jeder Akkreditierung treffe ich auf engagierte Kollegen, was mich inspiriert und dann auch meine eigene Lehre voranbringt.

Zum anderen  muss etwas getan werden. Denn was soll werden, wenn mehr als 60% junger Menschen jedes Jahr studieren und weiter mit unserem insuffizienten Studiensystem konfrontiert werden.
Ich weiß nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll

Georg Christoph Lichtenberg
 

Update vom 7.7.20

Ich selbst habe 2 Akkreditierungsanträge für neue Studiengägne geschrieben. 2012 für den Studiengang Logistics ⎼ Diagnostics and Design und 2015 für Chemie- und Pharmalogistik. Beide wurden extern von der ASIIN akkreditiert.

Bei LDD hatten wir ein paar Auflagen, die dann nach eine Jahr erfüllt waren. Der komplette LDD-Antrag mit Auflagenerfüllung aber ohne das Personalhandbuch steht zum Download zur Verfügung: ⧉ LDD-2013.

Der Antrag für Chemie- und Pharmalogistik hatte nur eine einzige Auflage. Wir sollten eine Fachprüfungsordnung verabschieden. Das habe wir erledigt und der CPL-Antrag steht ohne Personalhandbuch aus zum Download bereit: ⧉ CPL-2015.

CPL wurde 2018 wg. zu geringer Einschreibungen eingestellt, obwohl der Studiengang sich aus den vorhandenen Logistikmodulen ergänzt durch Module aus anderen Studiengängen am Standort speiste. D.h. kaum Kosten aber Hochschulpakt III Mittel.

LDD und der ältere Studiengang TL werden zum Wintersemester 2020 aufgelöst. Wegen zu geringer Einschreibungen. Studiengänge sind Produkte. LDD ist erst 8 Jahre am Markt und hat hundertausende Google Treffer. Alles geht in einem neuen Studiengang auf.

P.S.

Die Idee ist, lieber ein großer Studiengang als viele kleine, das spart Ressourcen, Wie aus dem Lehrbuch der strategischen Management-Beratung.

Dass wir eine hocheffiziente Matrixstruktur in der Logistik hatten, wen interessiert´s. Diversifikation durch neue Produkte wird ohne Mehrkosten durch neuen Modulmix erreicht. Das ist super effizient.

Wenn´s in Zukunft funktioniert, super. Wenn nicht, ist es ein weiteres Beispiel für falsche Strategieentscheidungen der Führungsebenen. Lernen können wir daraus allemal.

Ich bin gespannt wie das wird.
Aber wenn es nicht so läuft haben ja alle Corona als Erklärung. 


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