50 Jahre Barcode - eine Legende

Der Barcode wurde 50 Jahre alt. Dieses Ereignis fand ein breites Echo in den Medien. Die Deutsche Presse-Agentur veröffentlichte dazu eine ausführliche Pressemitteilung, die von verschiedenen Medien wie der Wirtschaftswoche aufgegriffen wurde. Gefunden habe ich mit einer simplen Websuche dutzende Veröffentlichungen gefunden von den Ostfriesischen Nachrichten bis zu der Zeit, in Tech Seiten und eigentlich überall. Im Deutschlandfunk stieß ich erstmalig auf den Beitrag.

Als Auto-ID-Experte schaute ich mir an, was dort veröffentlicht wurde. Es schien, als ginge es in erster Linie darum, eine Nachricht zu veröffentlichen, unabhängig davon, ob sie richtig war oder nicht. Jeder Journalist sollte sich an journalistische Grundprinzipien halten. Wenn ich Aussagen finde, die falsch sind und bereits in der Wikipedia korrekt dargestellt sind, zweifle ich an der Seriosität der "Qualitätsmedien".

Die Sammlung des Schwachsinns

Die fett gedruckte Zeile ist immer das Zitat. Angefangen habe ich mit der dpa-infocom, dpa:240621-99-476373/3, die in der Wirtschaftswoche und der Zeit [4] einfach veröffentlicht wurden. Wenn ich an anderer Stellen weiteren Quatsch fand, dann ist das auch hier fixiert. 
  1. Basis für den Code ist die darunter stehende GTIN, eine 13-stellige Artikelnummer.[4]
    Die Global Trade Item Number (GTIN) ist in Deutschland und Europa 13-stellig. Ein Barcode ist lediglich eine "Schriftart", die Daten maschinenlesbar darstellt. Diese Daten können vielfältig sein. In diesem Fall handelt es sich um eine Nummer, die für einen Artikel steht. Die GTIN ist vom Barcode unabhängig. Der Barcode ist lediglich die physische Darstellung dieser Nummer in einer maschinenlesbaren "Schriftart".
  2. Die Kölner Firma GS1 vergibt die Nummern an den Handel...[4, 5]

    In Deutschland bekommt man die
    International Location Number als
    Basis der EAN-Codes von GS1-Germany.

    Ein Tip: Wer was zum EAN wissen will geht besser
    zu GS1-Switzerland. Die sind meist offener und alles
    in Deutsch, Englisch und Französisch.

    Die deutsche Sprache kann wirklich kompliziert sein. Wir haben über die Global Trade Item Number (GTIN) gesprochen. Jetzt geht es um andere Nummern, die von GS1 vergeben werden. Das sind die sogenannten International Location Numbers (ILN). Die ILNs identifizieren ein Unternehmen eindeutig. In Deutschland ist GS1 Germany mit Sitz in Köln für die Vergabe zuständig. Jede ILN beginnt mit einem Kürzel für GS1 Germany, gefolgt von der Unternehmensnummer. GTINs hingegen beginnen mit der ILN-2, gefolgt von der Produktnummer und der Prüfziffer. Die Produktnummern werden von den Unternehmen selbst vergeben. Nur sie wissen, welches Produkt welche GTIN hat.
  3. Der Barcode wird anschließend mithilfe einer speziellen Software erzeugt. [4]
    Solche Aussagen  dienen oft dazu, ein bestimmtes Gefühl oder eine bestimmte Wahrnehmung zu erzeugen, und nicht unbedingt die tatsächliche Komplexität des Prozesses widerspiegeln.
    Die Aussage soll den Eindruck erwecken, dass die Erzeugung von Barcodes ein komplexer oder “magischer” Vorgang ist. In Wirklichkeit handelt es sich jedoch um eine relativ einfache Aufgabe, die mit bekannten Symboltabellen und einem einfachen Programm durchgeführt werden kann.
  4. Mit dem verschlüsselten Code ist jeder Artikel weltweit identifizierbar. [4] 
    Barcodes sind nicht im klassischen Sinne “verschlüsselt”, wie dies bei kryptographischen Verfahren der Fall ist. Es handelt sich nicht um eine Verschlüsselung im Sinne von Sicherheit oder Geheimhaltung. Die Daten werden “verschlüsselt”, weil sie in eine andere, nicht direkt lesbare Form umgewandelt werden. Jeder, der über ein Barcode-Lesegerät und den entsprechenden Standard verfügt, kann die Daten lesen. Es handelt sich eher um eine Kodierung als um eine Verschlüsselung. Der Begriff “verschlüsselt” im Zusammenhang mit Barcodes ist irreführend. 
  5. Der EAN ermöglicht 2 Teillesungen damit
    auch einfache Scanner damit zurecht kommen.
    Im Jahr 1971 einigten sich ... USA ... Standards „Universal Product Code“ (UPC).
    Im Jahr 1976 einigten sich ... 13-stelligen EAN-Code - „European Article Number“.[4, 5]
    Das ist korrekt, nur dass der 12 UPC Stellen hat. Blöd, wenn aber weltweit ein Barcode genutzt werden soll. Das erforderte dann eine trickreiche Codierung, die sowohl 12 als auch 13 Stellen umfasst.
  6. ... zwei US-Ingenieuren am Strand von Miami entwickelt, später von IBM patentiert [7]
    1948 entwickelte der US-Student Norman Joseph Woodland die Grundidee für den Strichcode, inspiriert vom Morsecode. Zusammen mit Bernard Silver meldete er 1952 ein Patent an. 1973 fand der Universal Product Code (UPC) seinen Weg in den Einzelhandel, und 1974 wurde der erste UPC-Code in Ohio gescannt. IBM übernahm 1969 Woodlands Unternehmen und trug zur Weiterentwicklung und Verbreitung des UPC bei, der heute weltweit verwendet wird.
  7. Hier haben wir für Sie die 5 häufigsten Informationen aufgelistet, die mit Barcodes ausgelesen werden.[2]
    Das ist einfach eine Behauptung ohne Beleg. Was ist mit industriellen Anwendungen oder Logistik und Transport. Und den 1001 Anwendungen im Gesundheitswesen? Als auch von einem Geisteswissenschaftler, der Autor Benjamin Müller betont sein Interesse für Lyrik und Prosa, Rhetorik und Semantik, sollte doch minimale Kompetenzen korrekter Recherche erwarten.


  8. Hinter dem UPC lassen sich bis zu 30 Zeichen speichern.[3]
    Interessant, davon habe ich noch nie gehört. Auch intensive suche hat nichts ergeben. Der UPS hat 12 Zeichen und fertig! Sicher eine Fehlinformation.
  9. Verbraucher können Barcodes inzwischen mit speziellen Smartphone-Apps wie Barcoo entschlüsseln. [4] 
    Barcodes und Barcodescanner sind Standard, kein Zauberwerk. Jedes Smartphone kann Barcodes lesen, und ein einfacher Scanner funktioniert wie eine Tastatur. Die Hervorhebung bestimmter Produkte oder Apps ist entweder Zeichen von Inkompetenz oder kommerziell motiviert. Die Technologie ist weit verbreitet und gut verstanden - nichts Mysteriöses oder Kompliziertes.
  10. „Vielen Dank lieber Barcode .... Die Zukunft gehört anderen“, sagt Handelsexperte Rüschen.[4]
    Stephan Rüschen, ein Kollege der DHBW, wird als Experte zitiert. Er hat zweifellos eine beeindruckende Karriere im Handel hinter sich. Auf dem Gebiet der automatischen Identifikation und Datenerfassung geht es um Normen, weltweite Standards, Technik und ICT, da ist er eben kein Experte.
    BTW, Rüschen ist unglaublich aktiv, mit zahlreichen Beiträgen, Publikationen und White Papers. Es ist bewundernswert, aber auch rätselhaft, wie er es schafft, neben all der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit auch noch zu lehren. Vielleicht ist das an Dualen Hochschulen so üblich.
  11. Mit der Artikelnummer ließe sich diese Vielzahl an Daten nicht abbilden, ... [4, 5]
    SINFOS wurde vor mehr als zehn Jahren als eigenständiges Dienstleistungsangebot von GS1 Germany, vormals Centrale für Coorganisation (CCG), gegründet. SINFOS ist eine zentrale und standardisierte Artikeldatenbank, die in verschiedenen Zielmärkten wie Food/Non-Food, Gastronomie, Textil, Sport, Schuhe, Pfand, Agrochemie sowie Bauen, Wohnen und Garten (Do-it-yourself) eingesetzt wird. Das heißt, sobald ich die Artikelnummer kenne, bekomme ich alle relevanten Informationen. Dieses System wurde inzwischen weiterentwickelt und heißt jetzt 1worldsync. 
  12. ... mit QR-Codes sei dies problemlos möglich .... [4, 5]
    Das verstehe ich jetzt nicht. Zum einen müssen alle relevanten Informationen sowieso im Klartext auf der Verpackung stehen, da brauche ich kein Spezialwissen oder ein Handy, um das zu lesen. Zum anderen ist die Rückverfolgbarkeit sowieso vorgeschrieben. Wo liegt also das Problem? Kann es sein, dass manche einfach nicht wollen, dass die Endkunden Zugang zu den Originaldaten haben?
  13. So hat Aldi-Nord ... QR-Code zu zeigen, der über die Herkunft des Produktes aufklärt. [6]
    Der proprietäre ALDI Transparenz Code (ATC) bietet den Kunden, über einen Weblink Informationen zur die Herkunft der Produkte. ALDI stellt sicher, dass seine Lieferanten die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte bis zum Ursprung gewährleisten. Diese Praxis, die bei ALDI seit 2013 umgesetzt wird, "verkauft" ALDI als Transparenzangebot.

    Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments
    und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung
    der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen
    des Lebensmittelrechts
    Sie entspricht der EU-Verordnung Nr. 178/2002, die die Rückverfolgbarkeit von Produkten vorschreibt. Diese Verordnung legt die allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts fest und enthält Verfahren zur Lebensmittelsicherheit. Sie verpflichtet alle Unternehmen der Lebensmittelkette, die Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte zu gewährleisten. Die Praxis von ALDI entspricht also dem geltenden EU-Recht, nur dass die Kunden dies selbst überprüfen können.
  14. Je nachdem wer ihn (den QR Code) wann scannt, der Kunde,... er erhält unterschiedliche Informationen zu unterschiedlichen Zeiten. [7]
    Ein gedruckter QR-Code kann keine unterschiedlichen Informationen zu unterschiedlichen Zeiten liefern, unabhängig davon, wer ihn scannt. QR-Codes sind statisch, die enthaltenen Daten sind fest und ändern sich nicht. Die Vorstellung, dass unterschiedliche Personen zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Informationen erhalten, ist schlichtweg absurd.
  15. Das ist beim RFID-Tag anders ... nächsten 5 bis 10 Jahren endgültig durchsetzt. [4, (5)]
    Wieder mal wird die Funk-Sau durch´s Dorf getrieben.
    Habe ich hier abgehandelt: Barcode versus RFID oder last euch von den True Lies nicht verwirren
Die Global Trade Item Number (GTIN), früher European Article Numbering (EAN), ist eine global eindeutige13-stellige Artikelnummer, die maschinenlesbarer Form als Barcode dargestellt wird. Barcodes sind einfache Kodierungen, die einmal gedruckt keine unterschiedlichen Informationen zu unterschiedlichen Zeiten liefern können. Die Vorstellung, dass gedruckte QR-Codes je nach Situation unterschiedliche Daten liefern, ist absurd, da sie statisch und unveränderlich sind. Aussagen über die Komplexität der Barcode-Generierung oder die Mystik hinter der Technologie sind irreführend; es handelt sich um einen einfachen, weit verbreiteten Standard.

Fazit

Ich verstehe, dass es Druck gibt und Geld verdient werden muss, aber Unsinn zu verbreiten kann nicht die Lösung sein. Deshalb habe ich mir verschiedene Publikationen genauer angesehen und jede Aussage fachlich kommentiert. Mein vorläufiges Fazit: Vorurteile scheinen die Welt zu regieren.

Nachtrag 9.9.24

Das hat ein chinesischer Studierender im IoT Kurs bemerkt: "Dieses Jahr ist das Jahr, in dem Deutschland das WM-Finale gewonnen hat." 1974  hat  Deutschland  zwar  die  Weltmeisterschaft  gewonnen,  aber  diese Information  hat  nichts mit  der Geschichte der  Barcodes  zu  tun und  passt  nicht  in  diesen Kontext. Das ist dann wohl eher Folklore für die Leser.   

Quellen

  1. GS1 Austria (2023), Der Barcode wird 50, 3. April 2023, via packaging journal, ella Verlag und Medien,  Hürth, ausgelesen 12.7.23 Link0-Mist also ok 
  2. Benjamin Müller (2023), 50 Jahre Barcode: Wie ein paar Striche die Welt veränderten, 5. Apr. 2023. 09:06 Uhr, neue-verpackung.de. Hüthig Medien, Heidelberg Ausgelesen 14.07.24 Link - 1-Mist 
  3. Lars Lubienetzki (2023), Warum der Barcode nach 50 Jahren bald abgeschafft werden könnte,
    TECHBOOK, 25. Mai 2023, 11:55 Uhr, Axel Springer Deutschland, Berlin, ausgelesen 12.7.24 Link1-Mist
  4. Deutschen Presse-Agentur (dpa), Der Barcode wird 50 - sechs Fakten zum Geburtstag, 21. Juni 2024,
    via Wirtschaftwoche, Handelsblatt, Düsseldorf Ausgelesen 12.7.24 Link - 10-Mist
    via 
    Die Zeit, Zeit Online, Hamburg Ausgelesen 14.7.24 Link - 10-Mist
  5. ZDF-Heute (2024), Fakten zum 50. Geburtstag: Was Sie noch nicht über den Barcode wussten, ZDF, Mainz, 26.06.2024 | 08:02, Ausgelesen 12.7.24 Link - Quelle dpa -  10-Mist
  6. Jonathan Bresch (2024), Alt und ausgedient? Der Barcode wird 50 Jahre alt – was ihn in Zukunft ablösen soll, DK Medien, Delmenhorst, 26.06.2024, 19:44 Uhr, Ausgelesen 12.7.24 Link - 1-Mist
  7. Michael Kläsgen (2024), 50 Jahre Barcode, Und es hat beep gemacht, 30. Juni 2024, 10:49 Uhr, Süddeutsche Zeitung, München, ausgelesen 14.07.23  -  1-Super-Mist
  8. Sucht euch selber mehr von dem Mist raus!


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Version: 1.3 Mai 2023, Kontakt: E-Mail Martin Wölker
Pirmasens, Germany, 2018-2024, ausgelesen am: , Licence CC BY-NC-SA



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